100 Jahre Celestino Piatti
100 Jahre Celestino Piatti
Celestino Piatti (1922-2007) hat mit seinen Bildideen die Schweizer Kulturgeschichte mitgeprägt. Der Schweizer Grafiker und Künstler wäre am 5.Januar 2022 hundert Jahre alt geworden. Das Keystone-SDA Archiv verfügt über Fotografien aus dem Familiennachlass Piatti. Seine Tochter Barbara Piatti erinnert sich im Gespräch an ihren Vater.
Celestino Piattis breit gefächertes Werk umfasst Werbung, Plakate, Buchumschläge, Kinderbücher, Lesefibeln und Briefmarken. Sie sind das Ergebnis eines ebenso ausdauernden Schaffens wie einer unerschöpflichen Bildfantasie.
Ein «kleines Weltkulturerbe» nennt der Kurator Felix Graf dieses Werk mit Blick auf die rund 6300 Taschenbuchumschläge, die Piatti für den Deutschen Taschenbuch Verlag (dtv) gestaltet hat. Das Zitat findet sich in einem Buch, das zum Jubiläum gemeinsam von dtv und dem Christoph Merian Verlag publiziert worden ist. Mitherausgeberin ist die Literaturwissenschaftlerin und Tochter des Künstlers Barbara Piatti.
Auf die Frage, welches ihr Lieblingsbild sei, nennt sie im Gespräch mit uns den «grünen Pan-Kentaur». Dieses Fabelwesen «ist vom Stil her typisch Piatti, aber eine Spur magischer, geheimnisvoller, vielleicht könnte man auch sagen: narrativer» als die berühmten Werbemotive, beispielsweise der legendäre Heliomalt-Elefant.
Celestino Piatti wurde 1922 als Sohn eines Tessiners Maurers und einer Zürcher Bauerntochter geboren. Er wuchs in Dietlikon bei Zürich auf. In der Familie fehlte das Geld für ein Kunststudium, deshalb begab er sich früh in die Praxis. Er absolvierte eine Grafikerlehre und arbeitete viele Jahre in einem renommierten Basler Grafikatelier. 1948 machte er sich mit seiner ersten Frau Marianne selbstständig.
Barbara Piatti erinnert sich an ihn als «heiteren, grosszügigen, lebensfrohen Menschen», was sich in seinen Bildern niederschlägt. Tatsächlich wird darin viel gelacht oder gelächelt, ohne dass es je anbiedernd wirkt. Diesem spürbaren Frohsinn stand indes, so Barbara Piatti, eine dunkle, melancholische Seite gegenüber, in der sich «Trauer und Ratlosigkeit über den Zustand der Welt» manifestierten.
Deshalb habe ihr Vater, oft honorarfrei, für Aktionen und Projekte gearbeitet, «aus dem reinen Bedürfnis, etwas bewegen oder verändern zu wollen». Mit seinen Plakaten warb er beispielsweise für Menschenrechte oder für Tier- und Naturschutz.
In Riehen bei Basel führte Celestino Piatti ein Grafikatelier, das er, trotz seines Weltruhms, «nicht zu einem Grossbetrieb aufgeblasen» hat, wie die Zeitschrift Graphis einmal schrieb. Piattis Schöpfungen zeugen von akribisch genauem Handwerk und verraten zugleich eine künstlerische Handschrift. Es ist nicht zu entscheiden, welcher Sparte er eigentlich zugehört. Und eigentlich ist das unwichtig, weil Piatti seinen eigenen, leicht wiedererkennbaren Stil gefunden hat.
Sein Markenzeichen sieht Barbara Piatti in «der Reduktion, der Kunst, eine Bild-Pointe zu schaffen, die einen das Wesentliche sofort, auf einen Blick, erfassen lässt». Dies ist gepaart mit einem hintergründigen Humor und einer natürlichen Heiterkeit.
Es erstaunt, wie Celestino Piatti selbst Werbemotiven Leichtigkeit einzuhauchen vermochte, symbolisiert etwa in der Sonne, die gewinnend strahlt, egal ob in der Lesefibel oder in der Pontresina-Werbung. Sie bleibt authentisch heiter, vermutlich auch deshalb, weil der Künstler den Wünschen der PR-Strategen zu widerstehen wusste und seine Motive nicht marktkonform anpasste. So bleibt der Sonne ihr Strahlen und dem Löwen sein wilder Charme erhalten.
Das eigentliche Erkennungsmerkmal seiner Arbeit aber ist bis heute die Eule geblieben. Mit ihren grossen roten Augen, die eine wissende Melancholie ausdrücken, gibt sich der Künstler Piatti zu erkennen. Schier endlos hat er diese an sich einfache grafische Form ab den späten 1950er-Jahren variiert. Stilbildend ist dabei das Buch «Eulenglück», Piattis erstes Kinderbuch von 1963. Es ist ein Wurf, der einfache Klarheit mit anrührender Schönheit verbindet und bis heute in keiner Weise gealtert wirkt.
Seine insgesamt sieben Kinderbücher sind aus Anlass des Jubiläums neu in einer Sammeledition erschienen. Neben der Eule und dem verwandten «ABC der Tiere» von 1965 finden sich darin auch Geschichten, die stilistisch andere Wege erproben, wie das Buch «Zirkus Nock» (1967).
Apropos Geschichten, fügt Barbara Piatti an: «Mein Vater war ein sehr guter Geschichtenerzähler, mit seinen Bildern, aber auch mit Worten. Nicht von ungefähr ist ein bisschen Märchen oder Fabel oder Mythologie vielen seiner Bilder beigemischt.» Deshalb sei das Märchenhafte «einer der Schlüssel» zu seiner Kunst. Im Märchen, so liesse sich ergänzen, erkennen wir wieder, was wir uns selbst wünschen. Darin mag das Geheimnis bestehen, warum Piattis Werbeplakate nie plump nur ein kommerzielles Interesse anpreisen.
Der schwergewichtige, grossformatige, zweisprachige Bildband mit dem Titel «Alles, was ich male, hat Augen» zeichnet ein farbiges, reiches Porträt des Menschen und des Bildkünstlers Piatti. Er enthält Anekdotisches, ebenso wie vertiefte Einblicke in sein Schaffen. So findet sich darin auch ein Kapitel über seine innovative Typografie. Alle diese Beiträge bemühen sich um Konzentration aufs Wesentliche und vertragen sich leichtfüssig mit den vielen Abbildungen.
«Celestino Piatti. Alles, was ich male, hat Augen | Everything I Paint Has Eyes», Herausgegeben von Claudio Miozzari, Barbara Piatti, Christoph Merian Verlag Basel / dtv, München 2021, ISBN 978-3-85616-950-3.
Dieser Text von Beat Mazenauer, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.
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